In der Schwäche liegt eine Chance

Andreas Thomsen über Spaniens Minderheitsregierung und die Rolle der Linken

Spanien hat eine neue Regierung. Es brauchte zwei Parlamentswahlen im vergangenen Jahr, um zu diesem Ergebnis zu kommen. Und nach wie vor handelt es sich um eine Regierung ohne eigene Mehrheit, erneut um eine Minderheitsregierung. Das ist nicht neu. Neu ist jedoch zweierlei: Es ist die erste Koalitionsregierung des postfranquistischen Spanien. Und sie ermöglicht auch die erste Regierungsbeteiligung der radikalen Linken, dem Bündnis Unidas Podemos aus Izquierda Unida (IU) und Podemos. Damit gibt es derzeit innerhalb der EU zwei Regierungsbeteiligungen der Linken auf nationaler Ebene: in Finnland und Spanien.
Wie stabil und langlebig diese Regierung sein kann, wird sich erweisen. Ministerpräsident Sánchez muss sich, das hat sich zu Jahresbeginn erneut gezeigt, auf eine harte und unversöhnliche Opposition einstellen. Die drei wesentlichen Parteien der politischen Rechten, die Volkspartei PP, die nationalliberalen Ciudadanos und die rechtsradikale VOX, agieren meist als Block und gegenüber der politischen Linken und auch den regionalistischen separatistischen Kräften mit enormer Aggressivität. Über das gesamte Jahr 2019 und zwei Parlamentswahlen hinweg wurde von allen Seiten das – deutsche Verhältnisse betrachtend –naheliegende Bündnis einer Großen Koalition aus PP und sozialdemokratischer PSOE ausgeschlossen. Aber auch ein Bündnis der kleineren Ciudadanos mit den Sozialdemokraten wurde nie ernsthaft in Betracht gezogen. Beides mag illustrieren, wie tief der politische Graben ist, der sich zwischen rechtem und progressivem Lager im Lande zieht. Die Parteien der Rechten setzten im Zuge aller Wahlen 2019 unterschiedlich schrill, aber immer entschieden auf Mobilisierung gegen jede Art regionalistischer oder separatistischer Tendenzen, vor allem in Katalonien.
Die Wahlen des Jahres 2019 haben aber auch gezeigt: In ihrer derzeitigen Aufstellung ist die politische Rechte in Spanien nicht mehrheitsfähig. Und auch wenn die Regierung aus PSOE und Unidas Podemos selbst über keine eigene Mehrheit verfügt, stets blieben die Wahlergebnisse der Parteien der nationalen Rechten hinter den Ergebnissen von PSOE und Unidas Podemos zurück. Premier Sánchez wurde mit den Stimmen der Parteien der Koalition und kleineren, regionalen Fraktionen gewählt. Entscheidend für seine Wahl waren schließlich die Enthaltungen der gemäßigten katalanischen Separatisten von ERC und der baskischen EH Bildu. Für diese Absprache und seiner Zusage, in einen Dialog über die Zukunft Kataloniens einzutreten, wurde Sánchez durch die Rechte als Verfassungsfeind und Verräter geschmäht.
Doch genau hier, in der Schwäche der neuen Regierung, liegt nun auch die Chance für Spanien und für Katalonien. Die neue Regierung wird für alle ihre Vorhaben Mehrheiten im Parlament brauchen. Dass sich die Parteien der Rechten als Mehrheitsbeschafferinnen anbieten, ist kaum zu erwarten. Und so wird es wiederum um Zustimmung oder Tolerierung durch regionalistische und separatistische Parteien gehen. Entscheiden sich diese Parteien jedoch zur Opposition, wäre ein Sturz des Premiers unvermeidlich. I U und Podemos vertreten seit Langem die Position, das Land solle in einen neuen Verfassungsprozess eintreten, Ergebnis könnte eine spanische Bundesrepublik sein. Und nach den Ereignissen in und um Katalonien scheinen Dialog und offene Debatte im Land unumgänglich. Die PSOE und der Ministerpräsident selbst würden, das hat die Vergangenheit gezeigt, ohne Druck kaum in einen solchen Prozess eintreten. Die Konstellation nach den Wahlen im letzten Jahr, angesichts der Bildung dieser Minderheitsregierung und ihrer Abhängigkeit von regionalen Parteien könnte jedoch genau diesen Druck wirksam erzeugen.

Foto: imago images/CordonPress

Ein Artikel von Andreas Thomsen

Andreas Thomsen

Andreas Thomsen ist Sozialwissenschaftler und leitet das Büro Brüssel und Madrid der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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