Der Militarismus in der Sicherheitspolitik ist das Sicherheitsrisiko Nummer eins

Der Ukraine-Krieg, der mit einem Bruch des Völkerrechts begonnen hat, kann nur durch eine Rückkehr zum Völkerrecht beendet werden, analysiert Walter Baier

 Friedensaktion der EL in Wien © European Left

Am 6. März wird der Europäische Rat zu einem Sondergipfel in Brüssel zusammenkommen, auf dem Ursula von der Leyen ein umfassendes Aufrüstungsprogramm für die Europäische Union vorstellen wird. Eine Analyse vonWalter Baier.

Die Europäische Linke (EL) hat die völkerrechtswidrige Aggression Russlands in der Ukraine vom ersten Tag an verurteilt. Sie hat aber auch von Anfang an die Strategie der Europäischen Union, Russland militärisch und wirtschaftlich zu „ruinieren“ (Annalena Baerbock), als unrealistisch kritisiert und stattdessen Initiativen für eine politische Lösung der dem Krieg zugrunde liegenden Konflikte zwischen Russland und der Ukraine beziehungsweise Russland und der NATO gefordert.

Die Normalisierung der Beziehungen zwischen Russland und den USA liegt im Interesse des Weltfriedens. Sie kann aber einen notwendigen Friedensprozess, an dem die ukrainische Regierung und Bevölkerung gleichberechtigt teilnehmen, ist, nicht ersetzen.

Nach der durch die Trump-Administration durchgeführten Kehrtwende in der US-Außenpolitik zeichnen sich zwei Szenarien ab: a) eine Fortsetzung des Krieges, auch wenn das US-Engagement eingestellt oder reduziert wird, wie sie die EU-Kommission vorbereitet, und b) ein Raubfrieden à la Putin und Trump, die das Land und die Ressourcen der Ukraine unter sich aufteilen. Beides ist aus demokratischer und internationalistischer Sicht inakzeptabel.

Die EL fordert eine Rückkehr zum Völkerrecht, den Abschluss eines Waffenstillstandsabkommens, die Aufnahme von Friedensverhandlungen und deren Umsetzung im Rahmen der Vereinten Nationen. Die EL fordert die EU auf, die auf dem Sondergipfel bereitgestellten Milliarden für weitere Waffenlieferungen in den Wiederaufbau der Ukraine zu investieren und in einem ersten Schritt die Schulden des Landes zu erlassen.

Rückkehr zum Völkerrecht

Die EU hat weder die politischen Initiativen zur Beendigung des Krieges unterstützt noch eigene Initiativen ergriffen, sondern ausschließlich auf den militärischen Sieg der Ukraine gesetzt. Heute ist diese Strategie sichtbar gescheitert. Emmanuel Macron und Keir Starmer versuchen nun, sich außerhalb der EU militärisch ins Spiel zu bringen, indem sie anbieten, an der Spitze einer „Koalition der Willigen“ Friedenstruppen zu entsenden. Das hieße, den Bock zum Gärtner zu machen. Schlimmer noch: Zum ersten Mal würden sich dann Truppen der drei europäischen Atommächte Russland, Frankreich und Großbritannien in der Ukraine direkt gegenüberstehen. Wir wären einem allgemeinen europäischen Krieg einen weiteren Schritt nähergekommen.

Angesichts der Gefahr einer Eskalation muss gesagt werden: Weder eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine noch eine so genannte „Koalition der Willigen“ unter der Führung von NATO-Staaten können zum Frieden führen. Der Krieg, der mit einem Bruch des Völkerrechts begonnen hat, kann nur durch eine Rückkehr zum Völkerrecht beendet werden. Das einzige Gremium, das zur Entsendung von internationalen Friedenstruppen berechtigt ist, ist der UN-Sicherheitsrat, der im Konsens seiner ständigen Mitglieder ein entsprechendes Mandat erteilen kann.

Es gibt nicht zu wenige, sondern zu viele Waffen in Europa

Durch die Wende in der amerikanischen Außenpolitik hat die Frage nach der eigenen Verantwortung Europas für seine Sicherheit dramatisch an Aktualität gewonnen. Am 6. März wird der Europäische Rat zu einem Sondergipfel in Brüssel zusammenkommen, auf dem Ursula von der Leyen ein umfassendes Aufrüstungsprogramm für die Europäische Union vorstellen wird. Damit wiederholt und verschlimmert sie ihren bisherigen Fehler, Sicherheit als vorrangig militärisches Problem zu missverstehen.

Die Forderung an die Mitgliedsländer, den Anteil der Rüstungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt auf 2 Prozent zu erhöhen, galt gestern, heute werden bereits 3 Prozent verlangt und morgen werden es 5 Prozent sein. Dazu sollen Mittel in einer Größenordnung mobilisiert werden, die im Kampf gegen den Klimawandel undenkbar sind.

Während die neuen Finanzregeln die EU-Staaten zwingen, die zur Bewältigung der Pandemiefolgen ausgesetzte Sparpolitik wieder aufzunehmen, sollen die Verteidigungsausgaben von den Sparvorgaben ausgenommen werden. 800 Milliarden Euro für Rüstung sollen zum Teil durch gemeinsame EU-Kreditaufnahme aufgebracht, die Europäische Investitionsbank, bisher vor allem für die Förderung regional- und kohäsionspolitischer Projekte zuständig, soll zur Geldmaschine für die Rüstungsindustrie umprogrammiert werden.

Die dieser wahnwitzigen Aufrüstung zu Grunde liegende Einschätzung, der Westen sei seinen potenziellen Gegnern in Sachen Rüstung unterlegen, ist falsch. Tatsächlich geben die 23 europäischen NATO-Mitglieder mehr als doppelt so viel für Rüstung aus wie die Russische Föderation. Auf globaler Ebene ergibt sich ein ähnliches Bild: Die Rüstungsausgaben der NATO und ihrer Verbündeten machen zusammengenommen dreimal so viel aus wie die der Volksrepublik China und Russlands zusammengenommen. Dies zeigt, dass es in Europa und weltweit nicht zu wenige, sondern zu viele Waffen gibt. Welchen Zweck hat also die Überrüstung, wenn nicht den, den Rüstungsunternehmen exorbitante Gewinne auf Kosten der Allgemeinheit zu ermöglichen und zu versuchen, strategische Überlegenheit zu erlangen?

Die Demilitarisierung der Sicherheitspolitik ist notwendig

Strategische Überlegenheit zwischen den Atommächten ist eine gefährliche Illusion. Aufrüstung führt zu Gegenaufrüstung und diese wiederum zu Gegen-Gegenaufrüstung. Im Ergebnis bedeutet das mehr Unsicherheit für alle! Im Zeitalter der Atomwaffen ist das militaristische Sicherheitsdenken das Sicherheitsrisiko Nummer eins.

Sicherheit in einem humanen Sinne bedeutet Sicherheit vor Pandemien, vor dem Klimawandel, sichere Versorgung mit Wasser, Nahrung und Gesundheitsdiensten für alle Menschen auf der Welt und erfordert die Umverteilung der Ressourcen, die für das Wettrüsten aufgewendet werden, zu humanen Zwecken. Keines der großen sozialen und ökologischen Probleme innerhalb unserer Gesellschaften und im globalen Maßstab kann ohne die Überwindung des Militarismus in der Politik und im öffentlichen Diskurs gelöst werden.

Der Spruch, „Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor“, wurde schon im alten Rom zur Rechtfertigung von Imperialismus und Militarismus verwendet; im Atomzeitalter ist er die Formel für den von der Menschheit selbst herbeigeführten Weltuntergang!

Europa braucht ein demilitarisiertes Verständnis von Sicherheit. Eine Debatte über die Schaffung einer EU-Armee, ohne vorher die Politik bestimmt zu haben, der sie als Instrument dienen soll, verharrt innerhalb des militaristischen Paradigmas und ist für die Linke sinnlos.

Europa – atomwaffenfrei bis 2050

Angesichts von 500 Großstädten und 167 Kernkraftwerken auf unserem Kontinent war der US-amerikanischen Nuklearschirm über Europa immer eine Illusion. Wo wäre der US-Präsident, der im Ernstfall New York oder Chicago für die Verteidigung von Berlin oder Brüssel opfern würde? Tatsächlich diente die US-Nukleardoktrin „Flexible Response“ dazu, einen angenommenen Atomkrieg in Europa auf Europa zu beschränken.

Die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland im nächsten Jahr generiert daher nicht Sicherheit, sondern vermehrt die Unsicherheit für die Europäer*innen. In ihrem Interesse muss sich die Europäische Union für eine Reduzierung und langfristig bis 2050 für die Abschaffung der Atomwaffen in Europa einsetzen, wie es der völkerrechtlich gültige Vertrag über das Verbot von Atomwaffen (TPNW) vorsieht.

Reden wir von europäischer Autonomie, sollten wir bedenken, dass die EU ist nicht Europa ist und es in absehbarer Zukunft auch nicht sein wird. Sicherheit kann nicht als ein Privileg einzelner Staaten oder einer Gruppe von Staaten konzipiert werden. Angesichts der in Europa bestehenden Dichte an Waffen lautet die Alternative gemeinsame Sicherheit für alle Staaten oder allgemeine Unsicherheit. Aufgrund dieser Einsicht unterzeichneten vor 50 Jahren 33 europäische Staaten sowie die USA und Kanada vor die Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in Helsinki. Die historischen Umstände haben sich seither verändert. Unverändert ist aber, dass es ohne militärische Entspannung und Zusammenarbeit zwischen den europäischen Staaten und mit den Nachbarländern Europas keinen dauerhaften Frieden und keine Autonomie Europas geben kann. Die aus der KSZE hervorgegangene Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bildet den adäquaten völkerrechtlichen Rahmen für die friedenspolitische Autonomie Europas. Um sie zu verwirklichen, muss sich in der EU eine auf Frieden und Abrüstung ausgerichteten Politik durchsetzen. Dazu braucht es eine breite Schichten der Gesellschaft erfassende, Parteien, Gewerkschaften Religionsgemeinschaften und soziale Bewegungen vereinigende Friedensbewegung. Dazu muss die Linke in Europa und in jedem Land beitragen.

Ein Artikel von Walter Baier

Walter Baier

Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler gehörte zu den Mitgründern der Partei der Europäischen Linken (EL) und war Koordinator des linken Thinktank »transform! Europe«. Im Dezember 2022 wurde er zum Präsidenten der EL gewählt.

die-zukunft.eu freut sich auf Ihre/auf Eure Vorschläge für Beiträge zur Debatte über ein anderes Europa. Bitte geben Sie Ihren Namen, die Organisation sowie eine Kontaktadresse an.

Hinweis

Guter Journalismus ist nicht umsonst.

Die Inhalte auf die-zukunft.eu sind grundsätzlich kostenlos. Aber auch wir brauchen finanzielle Ressourcen, um die-zukunft.eu mit journalistischen Inhalten zu füllen. Unterstützen Sie uns und machen Sie unabhängigen, linken Journalismus möglich.

Kontakt

Sie wollen Kontakt zu uns aufnehmen?

die-zukunft.eu freut sich auf Ihre/auf Eure Vorschläge für Beiträge zur Debatte über ein anderes Europa. Bitte geben Sie Ihren Namen, die Organisation sowie eine Kontaktadresse an.

E-Mail senden

Zahlungsmethode


Betrag

Hinweis

Guter Journalismus ist nicht umsonst.

Die Inhalte auf die-zukunft.eu sind grundsätzlich kostenlos. Aber auch wir brauchen finanzielle Ressourcen, um die-zukunft.eu mit journalistischen Inhalten zu füllen. Unterstützen Sie uns und machen Sie unabhängigen, linken Journalismus möglich.

Zahlungsmethode


Betrag

Kontakt

Sie wollen Kontakt zu uns aufnehmen?

die-zukunft.eu freut sich auf Ihre/auf Eure Vorschläge für Beiträge zur Debatte über ein anderes Europa. Bitte geben Sie Ihren Namen, die Organisation sowie eine Kontaktadresse an.

E-Mail senden