Angriff auf Umwelt-NGOs
Was Friedrich Merz will, gibt es in Brüssel schon: Konservative und rechtsextreme Europa-Politiker:innen vereint gegen missliebige Nichtregierungsorganisationen

Als Friedrich Merz (CDU) Ende Januar sein Antimigrationspapier sowie eine entsprechende Gesetzgebung mit Hilfe der AfD durch den Bundestag bringen wollte, reagierte die Zivilgesellschaft in Deutschland mit einer unerwarteten Protestbewegung, die sich nicht allein gegen die AfD, sondern auch gegen Merz und seine Partei, die CDU, richtete, weil sie erstmals seit Gründung der Bundesrepublik gemeinsam mit einer faschistischen Partei eine Mehrheit gegen die anderen demokratischen Parteien im Bundestag bildete (bezogen auf die Abstimmung über das Antimigartionspapier am 29.01.2025). Daraufhin warnte die CDU gemeinnützige Vereine vor „Stimmungsmache“ gegen Merz und drohte mit Entzug von Fördermitteln wie u.a. ZEIT-Online am 13.02.2025 berichtete.
Dieser konservative Angriff auf kritische und demokratische zivilgesellschaftliche Organisationen ist keinesfalls eine Einzelaktion, sondern offensichtliche Teil einer breiteren Strategie. Denn im Europäischen Parlament läuft eine vergleichbare Kampagne gegen Umwelt-NGOs. In den Medien in der Bundesrepublik hat das kaum einen Widerhall gefunden. Vielleicht liegt es an den politischen Entwicklungen in den USA, im Mittleren Osten, in Österreich und in der Bundesrepublik, die im Augenblick alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Untergegangen ist dabei, dass Umwelt-NGOs in der EU, die Geld aus EU-Fördertöpfen erhalten, keine Advocacy- und Lobby-Arbeit mehr machen, wenn sie ihre EU-Fördergelder nicht verlieren wollen. Wie ist es dazu gekommen?
Wie die englischsprachige Zeitung Politico in einem Artikel vom 28.11.2024 berichtet, begannen Europaabgeordnete (MdEP) von rechtsextremen und rechtsradikalen Parteien bereits in der letzten Legislaturperiode (2019 bis 2024) den Druck auf Umwelt-NGOs zu erhöhen. Etwa ein Dutzend Fragen wurden aus der rechten Ecke des Europäischen Parlaments (EP) an die Kommission gerichtet, in denen die rechten MdEP auf einen aus ihrer Sicht laxen Umgang mit der Finanzierung von NGOs und deren Lobbyarbeit in der EU-Blase aufmerksam verwiesen.
In Folge dieses Drucks reagierte die EU-Kommission laut Politico mit einer Mitteilung an die betroffenen Umwelt-NGOs, in der ihnen mitgeteilt wurde, dass das Geld, das sie aus dem Topf der EU-Umweltfonds erhalten, nicht mehr für Advocacy-Lobbyarbeit verwendet werden dürfe. Wörtlich heißt es in dem Politico-Artikel: „Gemeinnützige Organisationen, die Fördergelder aus dem LIFE-Programm erhalten, müssen ihre Arbeitsabläufe für das Jahr 2024 überprüfen und alle Aktivitäten entfernen, die als Lobbyarbeit angesehen werden könnten, heißt es in den Briefen.“ Gemeint sind damit Einflussnahmen auf MdEP und auf Mitarbeitende der EU-Instiutionen in Form von Gesprächen oder zur Verfügungstellung von Informationen in anderer Form. Anstelle dessen sollen sich die NGOs ihre Arbeit z.B. auf Bildungsarbeit ausrichten. Vergleichbare Einschränkungen für Wirtschaftsvertreter sind hingegen nicht vorgesehen.
Bei den Fördergeldern geht es um Mittel aus dem EU-LIFE-Programm, das auf der EU-LIFE-Verordnung basiert, in Höhe von 5,4 Milliarden Euro für den Zeitraum von 2021 bis 2027, was weniger als 0,3 % des gesamten EU-Haushalts von 2 Billionen Euro entspricht, wenn man den Mittelfristigen Finanzrahmenplan (MFR) und Next Generation EU zusammennimmt. Aus dem LIFE-Programm erhalten die empfangsberechtigten NGO u.a. Betriebskostenzuschüsse.
Am 05.12.2024 haben 31 Vertreterinnen und Vertreter einen offenen Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geschickt. Die Verfasser und Verfasserinnen des Schreiben betonen:
„Wir vertreten weit über fünfzig Millionen Bürger, die in Umweltorganisationen engagiert sind, und haben uns in den letzten Jahrzehnten konstruktiv an der Entwicklung und Umsetzung der EU-Politik beteiligt. Dazu gehörte die Teilnahme an EU-Konsultationen, Expertengruppen und strukturierten Dialogen, die von den EU-Institutionen organisiert wurden, um das Bewusstsein zu schärfen und die Anliegen der Bürger an die Entscheidungsträger weiterzuleiten. Durch diese Aktivitäten haben wir unser Recht auf öffentliche Beteiligung an umweltpolitischen Entscheidungen wahrgenommen und die Verpflichtung der europäischen Institutionen zur Aufrechterhaltung eines transparenten Dialogs mit der Zivilgesellschaft unter Wahrung der Vielfalt der Perspektiven der verschiedenen Interessengruppen eingehalten.
Eine lebendige Demokratie erfordert eine Infrastruktur und Ressourcen, die es den Bürgern ermöglichen, ihre Stimme zu Gehör zu bringen. Im Gegensatz zu ressourcenstarken Akteuren wie ausländischen Regierungen, multinationalen Unternehmen und Wirtschaftsverbänden verfügen die europäischen Bürger und ihre zivilgesellschaftlichen Organisationen (CSOs) sowie Nichtregierungsorganisationen (NGOs) häufig nicht über ausreichende Ressourcen, um an öffentlichen Dialogen auf europäischer Ebene teilzunehmen. Daher benötigen sie die Unterstützung der EU, um für mehr Chancengleichheit zu sorgen. Die EU hat dies durch die Bereitstellung von Betriebskostenzuschüssen und durch die Öffnung EU-finanzierter Projekte für die Zivilgesellschaft erleichtert.“
Weiter heißt es in dem Schreiben der NGOs:
Gemäß der LIFE-Verordnung soll das LIFE-Programm (unter anderem) „die Entwicklung, Umsetzung, Überwachung und Durchsetzung der einschlägigen Rechtsvorschriften und politischen Maßnahmen der Union in den Bereichen Umwelt, einschließlich Natur und biologische Vielfalt, sowie Klimaschutz und Übergang zu erneuerbaren Energien oder erhöhter Energieeffizienz unterstützen, unter anderem durch die Verbesserung der Regierungsführung auf allen Ebenen, insbesondere durch die Stärkung der Kapazitäten öffentlicher und privater Akteure und die Einbeziehung der Zivilgesellschaft“. Dies spiegelt sich in den LIFE-Rahmenpartnerschaftsvereinbarungen wider, die wir mit der Kommission geschlossen haben und die das ausdrückliche Ziel haben, „die Beteiligung der Zivilgesellschaft am politischen Dialog der EU zu stärken und die Begünstigten bei der Umsetzung und Durchsetzung der Umwelt- und Klimaziele der Union, einschließlich der Energiewende, zu unterstützen“.
Das EU-LIFE-Programm trägt zu den strategischen Prioritäten der EU bei und kann auf eine lange und erfolgreiche Geschichte der Unterstützung von Bottom-up-Projekten zurückblicken, die zivilgesellschaftlichen Organisationen und NGOs im weiteren Sinne dabei geholfen haben, mit einer Reihe von Interessengruppen (darunter Forscher und Akademiker, Unternehmen, Landwirte, lokale Gemeinschaften und andere) in ganz Europa zusammenzuarbeiten, um den Klimawandel einzudämmen, eine fossilfreie Energiewende sicherzustellen, Landwirte zu unterstützen, die sich für ökologische und agrarökologische Praktiken einsetzen, die Luft- und Wasserqualität zu verbessern, den Naturschutz und die Renaturierung gemeinsam mit lokalen Akteuren zu fördern und mit Unternehmen bei der Schaffung einer nachhaltigen Wirtschaft zusammenzuarbeiten, um nur einige zu nennen. Diese Projekte haben erfolgreich Solidarität zwischen den Regionen geschaffen, die Umwelt und die öffentliche Gesundheit verbessert, den lokalen Tourismus angekurbelt und die Zusammenarbeit mit den Unternehmen gefördert. Darüber hinaus haben sich diese Projekte als äußerst effiziente Nutzung von EU-Mitteln erwiesen.
[…]
Wir sind offen für eine Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission und allen EU-Institutionen, um das europäische Projekt zum Nutzen aller, für heutige und zukünftige Generationen, voranzutreiben. Wir bekräftigen unser Bekenntnis zu den oben genannten Grundsätzen für unsere gesamte Arbeit, einschließlich der verbleibenden Aktivitäten des aktuellen LIFE-Betriebskostenzuschusses und potenzieller zukünftiger Zuschüsse in den Jahren 2025 und 2026. Die LIFE-Betriebskostenzuschüsse für Umwelt-NGOs und Organisationen der Zivilgesellschaft belaufen sich auf 15,5 Millionen Euro pro Jahr oder 0,006 % des EU-Haushalts. Dieser winzige Bruchteil der EU-Ausgaben trägt dazu bei, dass die Stimmen der Zivilgesellschaft und der Umwelt-NGOs, die ein gutes Leben innerhalb der planetarischen Grenzen fordern, gehört werden und andere Stimmen ausbalancieren. Wir sind der Meinung, dass unser Engagement dank des LIFE-Programms dazu beigetragen hat, den Ruf der EU als weltweit führender Akteur beim notwendigen globalen Übergang zu einer kohlenstofffreien, schadstofffreien Zukunft zu stärken.
Abschließend bringen die NGOs ihre Hoffnung zum Ausdruck, mit den zuständigen Vertretern der EU-Kommission und dem EP-Haushaltskontrollausschuss eine Lösung zu finden.
Laut einem Bericht des EU-Newsportals Euracitv vom 24.01.2025 kam es in der Plenarsitzung des EP am 22.01.2025 in Straßburg zu einer heftigen Auseinandersetzung über die Frage der EU-Finanzierung von Umwelt-NGOs. Mittlerweile sind es nicht mehr nur MdEP der extremen Rechten, die Druck auf die NGOs ausüben, sondern auch die Fraktion der christdemokratischen Parteien, die EVP, die mit 188 Mitgliedern derzeit die mit Abstand größte Fraktion im EP darstellt. Wortführerin war laut Euractiv Monika Hohlmeier (CSU), die Tochter des früheren bayrischen Ministerpräsidenten Franz-Joseph Strauß. Nach dem Bericht von Euractiv sprach Hohlmeier von „Richtlinien zur Manipulation von Gesetzgebungsverfahren in Verträgen der Kommission“.
Bleibt die EU-Kommission bei ihrer Entscheidung, dann droht etlichen kleineren Umwelt-NGOs der Bankrott.
Der Euractiv-Artikel endet mit einem Hinweis der in Brüssel ansässigen Watchdog-Organisation Corporate Europe Observatory, nach dem Monika Hohlmeier jährlich 75.000 Euro vom Agrar- und Lebensmittelunternehmen Bay Wa erhalte. Das Unternehmen selbst bekomme wiederum 6,5 Millionen Euro aus dem EU-Fördertopf, aus dem auch NGOs unterstützt werden.
Der Artikel ist zuerst erschienen auf unserem Partnerportal europa_blog.
die-zukunft.eu freut sich auf Ihre/auf Eure Vorschläge für Beiträge zur Debatte über ein anderes Europa. Bitte geben Sie Ihren Namen, die Organisation sowie eine Kontaktadresse an.
Hinweis
Guter Journalismus ist nicht umsonst.
Die Inhalte auf die-zukunft.eu sind grundsätzlich kostenlos. Aber auch wir brauchen finanzielle Ressourcen, um die-zukunft.eu mit journalistischen Inhalten zu füllen. Unterstützen Sie uns und machen Sie unabhängigen, linken Journalismus möglich.
Kontakt
Sie wollen Kontakt zu uns aufnehmen?
die-zukunft.eu freut sich auf Ihre/auf Eure Vorschläge für Beiträge zur Debatte über ein anderes Europa. Bitte geben Sie Ihren Namen, die Organisation sowie eine Kontaktadresse an.
Zahlungsmethode
Hinweis
Guter Journalismus ist nicht umsonst.
Die Inhalte auf die-zukunft.eu sind grundsätzlich kostenlos. Aber auch wir brauchen finanzielle Ressourcen, um die-zukunft.eu mit journalistischen Inhalten zu füllen. Unterstützen Sie uns und machen Sie unabhängigen, linken Journalismus möglich.
Zahlungsmethode
Kontakt
Sie wollen Kontakt zu uns aufnehmen?
die-zukunft.eu freut sich auf Ihre/auf Eure Vorschläge für Beiträge zur Debatte über ein anderes Europa. Bitte geben Sie Ihren Namen, die Organisation sowie eine Kontaktadresse an.